Wie viel Struktur braucht Selbstorganisation? Erfahrungen, Stolperfallen und Abhilfe

„Wir arbeiten selbstorganisiert“ – das klingt nach Vertrauen, Dynamik und Eigenverantwortung. Doch in vielen Teams folgt auf die erste Euphorie bald die große Ernüchterung:

  • Wer trifft jetzt eigentlich Entscheidungen?
  • Warum reden wir über alles – aber kommen kaum voran?

Selbstorganisation ist kein Selbstläufer. Sie funktioniert dann, wenn sie nicht mit „keine Struktur“ verwechselt wird – sondern mit der passenden Struktur. Und die darf ruhig klar und konkret sein.


Selbstorganisation braucht Struktur – aber eine, die passt

Selbstorganisierte Teams brauchen keine Chefinnen oder Chefs im klassischen Sinn – aber sie brauchen:

  • klare Rollen und Verantwortlichkeiten

  • vereinbarte Entscheidungsregeln

  • sichtbare Arbeitsstände

  • gemeinsame Routinen

Ohne diese Basis entsteht schnell Frust – und das Versprechen von mehr Eigenverantwortung verpufft.


Vier häufige Stolperfallen – und wie man sie lösen kann


1. „Alle entscheiden mit“ – klingt gut, funktioniert aber nicht

Wenn bei jeder Entscheidung alle eingebunden werden sollen, endet das oft in Endlos-Diskussionen oder Stillstand.

Praxis-Tipp: Delegationsmatrix gemeinsam erarbeiten

Nutzen Sie eine einfache Tabelle mit typischen Entscheidungsfeldern – und bestimmen Sie gemeinsam, wie stark ein Thema delegiert wird.

Vorlage: Delegationsmatrix (nach Jurgen Appelo / Management 3.0)

Thema / Entscheidung 1 = Führungskraft entscheidet alleine 4 = Gemeinsame Entscheidung 7 = Team entscheidet alleine Kommentar / Klarstellung
Urlaubsplanung Team klärt Vertretung eigenverantwortlich
Auswahl neuer Tools IT stimmt sich mit Team ab
Projektstart & Scope Führungskraft gibt Budget frei
Social Media Inhalte Inhalte gemeinsam abstimmen
Weiterbildung im Team Jede:r meldet sich selbstständig an

Tipp zur Anwendung:

  • Setzen Sie sich als Team zusammen und füllen Sie die Matrix gemeinsam aus.

  • Verwenden Sie eine Skala von 1 bis 7, um zu zeigen, wie weit Verantwortung übertragen wird.

  • Aktualisieren Sie die Matrix regelmäßig – z. B. alle 6 Monate.


2. Unklare Rollen führen zu Reibung und Doppelarbeit

In vielen Teams ist nicht klar: Wer ist eigentlich für was zuständig? Das führt zu Reibungen, Abstimmungsschleifen oder Lücken.

Praxis-Tipp: Rollenkarten nutzen

Definieren Sie Rollen unabhängig von Personen – klar, knapp und verständlich.

Vorlage: Rollenkarten

Diese Vorlage können Sie für jede Rolle im Team ausfüllen – in Word, Excel oder digital in Notion, Confluence etc.

Element Beschreibung
Rollenname z. B. Kommunikationsverantwortliche:r
Zweck Warum gibt es diese Rolle? Welchen Beitrag leistet sie für das Team?
Verantwortlichkeiten Was gehört zu dieser Rolle? (3–5 konkrete Punkte)
Domänen (Entscheidungsbereich) Worüber darf die Rolle selbstständig entscheiden?
Verknüpfung zu anderen Rollen Mit wem muss die Rolle regelmäßig im Austausch sein?
Besetzt durch Wer hat diese Rolle aktuell inne? (optional)

Beispiel ausgefüllt:

Element Inhalt
Rollenname Kommunikationsverantwortliche:r
Zweck Sicherstellung eines klaren, transparenten Informationsflusses im Team
Verantwortlichkeiten - Wöchentlicher Teamnewsletter
- Aktualisierung des internen Infoboards
- Redaktion von FAQ-Seiten
Domänen Auswahl der Kommunikationskanäle im Team, Layout und Tonalität
Verknüpfung Abstimmung mit IT (bei Tools), Projektleitung (bei Inhalten)
Besetzt durch Max Mustermann (Stand: Q1 2025)

Tipp zur Anwendung:

  • Rollen regelmäßig reflektieren – z. B. im Rahmen von Retrospektiven

  • Nicht jede Rolle braucht eine Person in Vollzeit – oft reicht ein:e Zuständige:r mit 10–20 % Zeitanteil

  • Rollenbesetzung kann freiwillig oder im Team abgestimmt erfolgen


Und wie sieht das im Alltag aus?

Hier ein typischer Wochenablauf in einem selbstorganisierten, aber strukturierten Team:

Tag Format Ziel
Montag 30-minütiger Check-in (moderiert) Jeder nennt Fokus der Woche + Hindernisse
Dienstag Bearbeitungszeit ohne Meetings Fokuszeit, klar blockiert
Mittwoch Retrospektive (alle 2 Wochen) Team reflektiert, was gut lief – und was nicht
Donnerstag Fachlicher Austausch z. B. "Lunch & Learn" oder Mini-Workshop
Freitag Wochenabschluss-Update im Board Jede:r aktualisiert Status + To-dos fürs Team sichtbar

Alle Aufgaben laufen über ein gemeinsames digitales Board (z. B. Trello oder Planner), ergänzt durch Rollenkarten im Wiki (z. B. Confluence).


Fazit: Klarheit ist der Schlüssel

Selbstorganisation ist nicht weniger Struktur – sondern eine andere Struktur. Sie basiert nicht auf Anweisungen, sondern auf gemeinsam vereinbarten Regeln, Transparenz und Vertrauen.

Mit Delegationsmatrix, Rollenkarten und klaren Routinen lassen sich Unsicherheiten abbauen und echte Verantwortung leben.


Praktischer Impuls:
Laden Sie Ihr Team zu einem 90-minütigen Workshop ein, in dem Sie:

  • 5–7 typische Entscheidungen gemeinsam durch die Delegationsmatrix bewerten

  • 2–3 zentrale Rollen im Team anhand der Rollenvorlage definieren

  • eine Routine für Check-ins oder Retrospektiven einführen

Schon kleine Schritte machen einen großen Unterschied.


📌 Wenn Sie möchten, stelle ich Ihnen gerne alle Vorlagen als Word-, PDF- oder Notion-Format zur Verfügung. Oder ich unterstütze Sie bei der Moderation eines ersten Selbstorganisations-Workshops. Interesse? Schreiben Sie mir – ich freue mich auf den Austausch.

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